Häusliche Gewalt und Besuchsrecht: Was kann ein Gericht entscheiden?

Häusliche Gewalt ist ein ernstes und leider weit verbreitetes Problem in konfliktbelasteten Trennungssituationen. Wenn einem Elternteil Gewalt gegenüber dem anderen Elternteil oder dem Kind vorgeworfen oder nachgewiesen wird, stellt sich die Frage, wie mit dem Besuchsrecht umzugehen ist. Kann ein Gericht den Kontakt einschränken, aussetzen oder ganz untersagen? Welche Massnahmen sind rechtlich möglich, um das Wohl des Kindes zu schützen? Das Schweizer Recht gibt hierzu klare Antworten.

Der rechtliche Rahmen des Besuchsrechts

Gemäss Artikel 273 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) hat das Kind das Recht, persönliche Beziehungen zu beiden Elternteilen zu pflegen – auch nach einer Trennung oder Scheidung. Das Besuchsrecht ist kein Privileg des nicht betreuenden Elternteils, sondern Teil der elterlichen Verantwortung.

Dieses Recht ist jedoch nicht absolut. Es muss stets im Kindeswohl begründet sein. Besteht eine konkrete Gefährdung für das körperliche oder seelische Wohl des Kindes, kann das Gericht das Besuchsrecht anpassen, einschränken oder sogar aufheben.

Berücksichtigung häuslicher Gewalt

Wird das Gericht mit einem Fall konfrontiert, in dem häusliche Gewalt eine Rolle spielt, können unterschiedliche Konstellationen vorliegen:

  • Gewalt zwischen den Eltern (z. B. physische oder psychische Misshandlung, Kontrolle, Einschüchterung)

  • Gewalt gegen das Kind (körperliche Übergriffe, Vernachlässigung, emotionale Manipulation)

  • Indirekte Gewalt (das Kind ist Zeuge von ständigen Konflikten oder lebt in einem Klima der Angst)

In solchen Fällen muss das Gericht sorgfältig prüfen, ob und inwieweit ein Kontakt mit dem gewaltausübenden Elternteil vertretbar ist. Dabei spielen unter anderem polizeiliche Berichte, Zeugenaussagen, ärztliche Atteste oder psychologische Gutachten eine wichtige Rolle. Bloss allgemeine Behauptungen reichen nicht aus – es müssen glaubwürdige Beweise vorliegen.

Mögliche gerichtliche Anordnungen

Das Gericht verfügt über einen grossen Ermessensspielraum, um geeignete Massnahmen zu treffen. Dazu gehören unter anderem:

Beaufsichtigter Besuchskontakt
Das Besuchsrecht wird beibehalten, aber nur unter Aufsicht einer neutralen Drittperson (z. B. einer Fachperson aus dem Kindesschutz oder in einer geschützten Einrichtung). So kann der Kontakt ermöglicht werden, ohne die Sicherheit des Kindes zu gefährden.

Vorübergehende Aussetzung
Das Gericht kann das Besuchsrecht zeitweise aussetzen – etwa während einer laufenden Abklärung oder bis geeignete Schutzmassnahmen greifen.

Vollständiger Ausschluss des Besuchsrechts
Bei schwerwiegender oder anhaltender Gefährdung kann das Besuchsrecht ganz aufgehoben werden. Diese Massnahme ist jedoch die Ausnahme und erfordert eine besonders sorgfältige Begründung.

Besuchsrecht unter Auflagen
Das Gericht kann Bedingungen anordnen, z. B. die Teilnahme an einer Therapie, ein Kontaktverbot gegenüber dem anderen Elternteil oder den Austausch nur über neutrale Dritte.

Kindeswohl als Leitprinzip

Alle Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Besuchsrecht müssen dem Kindeswohl dienen (Art. 296 Abs. 3 ZPO, Art. 301 ZGB). Selbst wenn ein Elternteil auf Kontakt besteht, kann das Gericht diesen verweigern, wenn dies dem Kind schadet.

Zudem muss das Gericht mögliche Instrumentalisierungen des Besuchsrechts im Rahmen des elterlichen Konflikts erkennen und vermeiden. Häufig werden in solchen Verfahren psychologische Gutachten oder Berichte der Kindesschutzbehörden eingeholt.

Anpassung bei veränderten Umständen

Gerichtliche Regelungen zum Besuchsrecht sind nicht endgültig. Wenn sich die Situation verändert – etwa durch eine Therapie, Stabilisierung oder Verbesserung der familiären Umstände – kann eine Anpassung beantragt werden.

So wird ermöglicht, dass ein Kontakt – falls vertretbar – schrittweise und unter sicheren Bedingungen wieder aufgenommen wird.

Fazit

Das Schweizer Recht erlaubt es Gerichten, das Besuchsrecht im Falle häuslicher Gewalt flexibel und zum Schutz des Kindes anzupassen. Dies kann von einer begleiteten Besuchsregelung bis zur vollständigen Aufhebung reichen, je nach Schwere des Falls.

Für betroffene Eltern ist es wichtig, Vorfälle genau zu dokumentieren, rechtlichen Rat einzuholen und das Kindeswohl konsequent in den Mittelpunkt zu stellen. Das Besuchsrecht ist kein automatisches Recht – sondern ein Mittel, um gesunde Eltern-Kind-Beziehungen zu ermöglichen, solange dies dem Kind nicht schadet.

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