Die Berechnung des Kindesunterhalts in der Schweiz basiert häufig auf einem standardisierten Modell, bei dem der finanzielle Beitrag der Eltern entsprechend dem Alter des Kindes und dem Einkommen der Eltern festgelegt wird. Dieses System, bekannt als Schulstufenmodell, bietet eine vorhersehbare und stabile Grundlage für die Bestimmung der Unterhaltszahlungen. Dennoch gibt es Fälle, in denen eine Anpassung an besondere familiäre Situationen erforderlich sein kann.
In einem kürzlich ergangenen Urteil (5A_827/2023) hat das Bundesgericht klargestellt, unter welchen Umständen eine Abweichung von diesem traditionellen Modell möglich ist, insbesondere im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen dem Kindesunterhalt und dem Ehegattenunterhalt. Diese Entscheidung ebnet den Weg für einen flexibleren Ansatz, der besser an die wirtschaftlichen Realitäten der Eltern und die individuellen Bedürfnisse der Kinder angepasst ist. Doch in welchen Fällen kann eine Neuberechnung des Unterhalts beantragt werden, und nach welchen Kriterien wird sie bewertet?
Das Schulstufenmodell: Eine Standardmethode zur Berechnung des Kindesunterhalts
In der Schweiz dient das Schulstufenmodell als häufige Grundlage für die Festlegung des Kindesunterhalts. Es basiert auf der Annahme, dass die Bedürfnisse eines Kindes mit zunehmendem Alter wachsen und damit auch der finanzielle Beitrag der Eltern steigt. Theoretisch gewährleistet dieses System eine gerechte und strukturierte Versorgung des Kindes.
Allerdings berücksichtigt dieser Ansatz nicht immer besondere familiäre Umstände, beispielsweise wenn es erhebliche Unterschiede in den Einkommen der Eltern gibt oder wenn ein Kind spezifische Bedürfnisse hat. In solchen Fällen kann die strikte Anwendung des Schulstufenmodells zu Ungerechtigkeiten führen.
Abweichung vom Modell: Wann ist sie gerechtfertigt?
Das Urteil des Bundesgerichts vom 8. Oktober 2024 unterstreicht, dass das Schulstufenmodell nicht unveränderlich ist und unter bestimmten Umständen angepasst werden kann.
Eine solche Abweichung kann in verschiedenen Situationen gerechtfertigt sein. Wenn das Einkommen eines Elternteils erheblich höher ist als das des anderen, kann es gerechter sein, den Unterhalt entsprechend der tatsächlichen finanziellen Leistungsfähigkeit anzupassen, anstatt sich strikt an eine standardisierte Skala zu halten.
Darüber hinaus können hohe finanzielle Verpflichtungen eines Elternteils eine Anpassung des Unterhalts erfordern. Wenn ein Elternteil bereits erhebliche finanzielle Lasten trägt, sei es durch Unterhaltspflichten gegenüber weiteren Kindern oder durch erhebliche Schulden, könnte eine Anpassung erforderlich sein, um eine übermäßige Belastung zu vermeiden.
Auch die besonderen Bedürfnisse des Kindes spielen eine zentrale Rolle bei der Neuberechnung des Unterhalts. Benötigt ein Kind beispielsweise spezielle medizinische Versorgung oder eine besondere schulische Förderung, kann dies eine Abweichung vom Schulstufenmodell rechtfertigen. In solchen Fällen berücksichtigt das Gericht die tatsächlich anfallenden außergewöhnlichen Kosten, selbst wenn sie nicht im klassischen Modell vorgesehen sind.
Schließlich beleuchtet das Urteil auch die Wechselwirkung zwischen Kindesunterhalt und Ehegattenunterhalt. Wenn ein Elternteil verpflichtet ist, seinem ehemaligen Ehepartner eine erhebliche Unterhaltszahlung zu leisten, kann dies seine Fähigkeit beeinträchtigen, zusätzlich für den Kindesunterhalt aufzukommen. In solchen Situationen kann das Gericht die Unterhaltsverpflichtungen entsprechend neu aufteilen.
Eine realitätsnahe Berechnung des Unterhalts
Das Hauptziel dieser Abweichung ist es, sicherzustellen, dass der Unterhaltsbeitrag die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten und die individuellen Bedürfnisse der Familie widerspiegelt. Die Flexibilität dieses Ansatzes bedeutet nicht, dass das Schulstufenmodell überholt ist, sondern dass es in bestimmten Fällen angepasst werden muss, um eine gerechte Lösung zu gewährleisten.
Durch eine differenzierte Bewertung der finanziellen Situation fördert das Bundesgericht einen gerechteren und pragmatischeren Ansatz, der die Gesamtsituation der Eltern berücksichtigt. Diese Entscheidung stellt einen bedeutenden Fortschritt dar, um sicherzustellen, dass sowohl die Bedürfnisse der Kinder als auch die finanziellen Möglichkeiten der Eltern in die Berechnung des Unterhalts einfließen.
Eine neue Perspektive im Schweizer Unterhaltsrecht
Das jüngste Urteil des Bundesgerichts zeigt eine wesentliche Entwicklung in der Berechnung des Kindesunterhalts in der Schweiz. Durch die Möglichkeit, vom traditionellen Schulstufenmodell abzuweichen, erkennt das Gericht die Notwendigkeit eines individuellen und flexiblen Ansatzes, der die Vielfalt familiärer Situationen berücksichtigt.
In Fällen, in denen eine Anpassung gerechtfertigt ist, ermöglicht diese Flexibilität gerechtere Lösungen und verhindert eine starre Anwendung des Modells, die zu Ungerechtigkeiten führen könnte. Familien, die von dieser Problematik betroffen sind, sollten in Betracht ziehen, sich von einem spezialisierten Anwalt beraten zu lassen, um ihre Möglichkeiten zur Anpassung der Unterhaltszahlungen im Rahmen ihrer spezifischen Situation besser zu verstehen.






